Nach der Vertreibung der Kremser Jüd:innen im 15. und 17. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde erst im 19. Jahrhundert wieder langsam an. 1894 wurde nach langem Widerstand des Kremser Gemeinderats eine Synagoge in der Dinstlstraße errichtet.
Um 1900 lebten rund 300 Jüd:innen in Krems. Viele aus der jüngeren Generation jüdischer Kremser:innen waren eng mit sozialistischen und kommunistischen Bewegungen verbunden und dadurch in erhöhtem Maße Beobachtung und Verfolgung ausgesetzt. Um einen Minjan – die zehn erwachsenen Männer, die für die Durchführung eines Gottesdiensts notwendig sind – zusammenzustellen, mussten die Söhne des Kantors Samuel Neubauer freitags die jüdischen Haushalte einzeln aufsuchen und persönlich einladen. Seine Söhne Bela und Siegfried, die Mitglieder der Roten Falken waren, protestierten gegen diese Rolle, indem sie einmal im Tempel statt der Tora das Kommunistische Manifest verlasen.
Das zionistische Heim in der Eisentürhofgasse war ein zentraler Ort für das jüdische Leben in der Stadt. Dort wurden Purim, Silvester, Geburtstage, Hochzeiten und Abschiede einzelner Familien aus Krems ebenso gefeiert wie Theaterstücke aufgeführt. Neben der Familie Neubauer taucht in Erzählungen über das jüdische Leben auch der Name der Familie Wolter – zuvor Wasservogel – auf, die den heute für Krems so typischen Marillenlikör erfand. In dem Geschäftslokal am Steinertor, in dem aktuell Marillenprodukte vertrieben werden, war früher das Wäschegeschäft Neuner untergebracht. Es war eines der Geschäfte, die 1938 geplündert und zerstört wurden. Mehrere Mitglieder der Familie Neuner wurden deportiert und in Lagern ermordet. Ernst Neuner, einer der Söhne des Geschäftsbetreibers, versorgte trotz des Risikos, selbst deportiert zu werden, zwischen 1943 und 1945 Verwandte und Bekannte mit Essenspaketen, die er ins Konzentrationslager Theresienstadt schickte.
Seit der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Kremser:innen durch die Nationalsozialist:innen gibt es kein institutionalisiertes jüdisches Leben in Krems. Der inzwischen verstorbene Johann Kohn war der einzige jüdische Kremser, der nach dem Krieg aus der Emigration in die Stadt zurückkehrte. Auf dem Jüdischen Friedhof, auf dem seit 1882 insgesamt 177 Personen beerdigt wurden, fanden die letzten Beisetzungen 1971 statt. Die Synagoge wurde 1978 abgerissen.